Gene bestimmen fast nichts – und doch beeinflussen sie fast alles. Deine Fähigkeiten und sichtbaren Eigenschaften sind das Ergebnis des genetischen Erbes deiner Vorfahren – von deiner Intelligenz bis hin zu deinen persönlichen Vorlieben und Neigungen (Artikel, Studie).
Das Wissen über unser Genom kann uns helfen, unsere Ernährung gezielt zu personalisieren (mehr Details). Heute wenden wir diese Analyse auf den Sport an. Wir untersuchen, wie unser genetischer Code nicht nur unsere sportliche Leistung, sondern auch das Verletzungsrisiko und die optimale Strategie für Nahrungsergänzung beeinflussen kann.
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Kraft- oder Ausdauerprofil – Was verraten deine Gene?
Ob du eher für explosive, kurze Belastungen oder für lang andauernde aerobe Aktivitäten wie einen Marathon prädestiniert bist, hängt von mehreren Faktoren ab – einer der wichtigsten ist deine genetische Ausstattung.
Besonders herausragend ist in diesem Zusammenhang das berühmte ACTN3-Gen. Es steuert die Produktion eines Proteins in den schnell zuckenden (Typ-II-)Muskelfasern und erhöht deren Fähigkeit zur Kraftübertragung (Meta-Analyse, Studie I, Studie II, Studie III). Je nach genetischer Veranlagung hast du entweder zwei aktive Kopien dieses Gens (eine von deinem Vater, eine von deiner Mutter), eine aktive und eine inaktive Kopie oder zwei inaktive Kopien geerbt.

Die überwiegende Mehrheit der erfolgreichen explosiven Athleten, von Gewichthebern bis zu Sprintern, hat die aktive Version, was ihr den umgangssprachlichen Namen „Schnelligkeitsgen“ einbrachte.
Die inaktive Version des ACTN3-Gens – also wenn sowohl die Kopie des Vaters als auch die der Mutter stummgeschaltet sind – begünstigt stattdessen die Ausdauerleistung. Studien legen nahe, dass sich diese Variante vor allem in Regionen mit knapper Nahrungsverfügbarkeit entwickelt hat (Studie). In solchen Umgebungen war eine höhere Energieeffizienz entscheidend, um lange Strecken auf der Suche nach Nahrung zu bewältigen.
Natürlich reicht eine günstige Genvariante allein nicht aus, um ein Weltklasse-Sportler zu werden. Zahlreiche weitere Gene und Einflussfaktoren spielen eine Rolle bei der individuellen Kraft- und Ausdauerveranlagung (Studie I, Studie II, Studie III). Letztlich bewegt sich jeder Mensch irgendwo auf einem breiten Spektrum zwischen Explosivkraft und Ausdauer.
Neben genetischen Faktoren gibt es auch eine Vielzahl anatomischer Merkmale, die teilweise vererbt werden. Dazu gehören beispielsweise symmetrische Knie und Knöchel (Studie I, Studie II) oder der individuelle Anteil an verschiedenen Muskelfasertypen.
Kann der Anteil der Muskelfasern verändert werden?
Grundsätzlich gibt es zwei Haupttypen von Muskelfasern:
Langsame Fasern (Typ I, „rote Fasern“)
Diese Fasern bevorzugen Fettsäuren als Energiequelle, die sie aufgrund ihrer hohen mitochondrialen Dichte effizient oxidieren. Sie sind äußerst widerstandsfähig gegen Ermüdung, benötigen jedoch mehr Zeit zur Energieproduktion, weshalb sie nicht explosiv sind.Schnelle Fasern (Typ II, „weiße Fasern“)
Diese Fasern greifen hauptsächlich auf Glykogen und Phosphokreatin als Brennstoffe zurück. Diese Energieträger sind weniger effizient, ermöglichen jedoch eine schnelle Kraftentfaltung. Der Nachteil: Die Fasern ermüden rasch.
Jeder Mensch besitzt eine individuelle Mischung aus beiden Fasertypen in seinen Muskeln. Während Marathonläufer einen deutlich höheren Anteil an Typ-I-Fasern haben, dominieren bei Sprintern die schnellen Typ-II-Fasern.

Obwohl der genetische Faktor am wichtigsten ist (mehr Details), beeinflusst auch die Art deines Trainings die Verteilung deiner Muskelfasern (Studie I, Studie II). Langes aerobes Training fördert die Entwicklung langsamer Fasern, während Kraft- und Schnellkrafttraining die schnellen Fasern begünstigt.
Kurz gesagt: Wenn du den Körper eines Sprinters willst, musst du auch wie ein Sprinter trainieren.
Schnelle Fasern haben ein höheres Hypertrophiepotenzial, doch dein Muskelwachstum hängt von vielen weiteren genetischen Faktoren ab – etwa von der Fähigkeit deiner Satellitenzellen, aktiviert zu werden.
Verletzungsrisiko: Was sagen deine Gene?
Es ist längst bekannt, dass Dutzende von Genen das Risiko für verschiedene Verletzungen beeinflussen (Studie I, Studie II) – insbesondere jene, die an der Produktion von Kollagen beteiligt sind. Dieses Protein ist der Hauptbestandteil von Knochen und Bindegewebe und spielt eine entscheidende Rolle für die Stabilität und Belastbarkeit des Körpers.
Ein interessantes Beispiel ist das COL1A1-Gen, das für die Synthese und Struktur von Kollagen verantwortlich ist. Studien zeigen, dass Menschen mit der TT-Genvariante ein geringeres Risiko für Kreuzbandrisse haben (Studie I, Studie II).
Ein weiteres spannendes Gen ist COL5A1 (Studie I, Studie II). Hier steht die CC-Kombination in Verbindung mit einer besseren Beweglichkeit und einem geringeren Risiko für Sehnenverletzungen (Studie I, Studie II, Studie III).
Neben Kollagen spielt auch Elastin eine entscheidende Rolle. Dieses Protein verleiht den zähen Kollagenfasern Elastizität und sorgt dafür, dass Sehnen und Bänder widerstandsfähig, aber dennoch flexibel bleiben. Elastische Bänder sind belastbarer als steife und können das Verletzungsrisiko senken.
Ein interessanter genetischer Faktor in diesem Zusammenhang ist eine bestimmte Genvariante, bei der:
- AA mit einem höheren Verletzungsrisiko assoziiert ist,
- GG mit einem geringeren Risiko,
- AG ein mittleres Risiko aufweist (Studie).
Obwohl Muskelverletzungen meist weniger schwerwiegend sind als Gelenkverletzungen, gibt es auch hier genetische Varianten, die das Risiko beeinflussen (Studie I, Studie II, Studie III). Zwei besonders interessante Gene sind:
- IGF2: Ein Wachstumsfaktor, der die Zellproliferation und somit die Muskelreparatur fördert.
- CCL2: Reguliert Entzündungsprozesse und spielt eine Schlüsselrolle in der Muskelregeneration.
Diese Faktoren zeigen, dass nicht nur Training und Lebensstil, sondern auch deine genetische Veranlagung dein Verletzungsrisiko und deine Erholungsfähigkeit beeinflussen können.
Personalisierte Nahrungsergänzung: Welche Rolle spielen deine Gene?
Wir haben bereits mehrfach über die wirksamsten Nahrungsergänzungsmittel gesprochen – etwa Kreatin und Koffein. Doch auch hier beeinflussen unsere Gene ihre Wirkung (mehr Details).
Zum Beispiel profitieren Menschen mit einem geringeren Anteil an schnellen Muskelfasern weniger von Kreatin, wenn es um die Steigerung der Muskelkraft geht (Studie). Diese Reaktion hängt teilweise mit der aktiven Version des Sprinter-Gens (ACTN3) zusammen.
Ein weiteres Beispiel ist das CYP1A2-Gen, das bestimmt, wie effizient dein Körper Koffein verstoffwechselt. Wer dieses Gen in der AA-Variante trägt, verarbeitet Koffein besonders schnell und kann dadurch Vorteile genießen, die anderen nicht zur Verfügung stehen (Studie).
Wenn du jedoch ein langsamer Verstoffwechsler von Koffein bist, solltest du deinen Konsum besser einschränken – dein Körper kann das Koffein dann nicht optimal nutzen und es könnte sogar kontraproduktiv sein.
Helfen Gentests bei der Personalisierung des Trainings?
Das ist die Millionen-Dollar-Frage :-).
Es ist eine Sache, Korrelationen zwischen bestimmten Genen und sportlicher Leistungsfähigkeit zu entdecken – aber eine ganz andere, diese Erkenntnisse tatsächlich zu nutzen, um dein Training zu optimieren. Und genau hier steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen.
Ein vielversprechendes Beispiel für das Potenzial dieser Technologie liefert eine kürzlich durchgeführte Studie. Dabei wurden fünfzehn Gene analysiert, um das individuelle Sportprofil der Teilnehmer zu bestimmen – also ob sie eher für Kraft oder Kraftausdauer prädestiniert sind. Anschließend wurden die Teilnehmer zufällig zwei Trainingsansätzen zugewiesen: hohe Intensität oder niedrige Intensität.
Beide Gruppen absolvierten beide Programme nacheinander, und am Ende wurde analysiert, wie sich ihre Leistungswerte verbessert hatten. Das Ergebnis: Die Athleten erzielten größere Fortschritte, wenn ihr Training ihrer genetischen Veranlagung entsprach.
Obwohl diese Studie gut aufgesetzt war, bleibt ihre praktische Anwendung begrenzt. Zudem wurden Kraft- und Muskelzuwächse nicht berücksichtigt – ein Aspekt, der für viele Sportler besonders wichtig ist.
Lohnt sich ein Sport-Gentest?
Kurze Antwort: In den meisten Fällen wohl eher nicht.
Wenn du schon länger trainierst, wird ein Gentest wahrscheinlich nur das bestätigen, was du ohnehin längst intuitiv weißt. Und selbst wenn du eine Überraschung erlebst, wird er dir in der Praxis kaum einen entscheidenden Vorteil bringen:
- Selbst wenn du genetisch eher auf Ausdauer ausgerichtet bist, profitierst du dennoch vom Kraft- und Leistungstraining.
- Auch wenn dein Verletzungsrisiko gering ist, solltest du trotzdem auf Beweglichkeit und Technik achten.
- Unabhängig von deinem muskelaufbauenden Potenzial gelten dieselben Prinzipien, um deine Muskulatur optimal zu entwickeln.
- Und selbst wenn du auf Kreatin nicht stark reagierst, kann es dir auf andere Weise helfen.
Außerdem gibt es für jede vermeintliche „genetische Regel“ immer Ausnahmen. Erinnerst du dich an das berühmte Explosivitäts-Gen? Nun, ein Leichtathlet sprang 8,23 Meter weit – ohne dieses Gen (mehr Details).
Gene spielen zweifellos eine wichtige Rolle, aber wir sind noch weit davon entfernt, alle ihre Geheimnisse zu entschlüsseln. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Genen und der Umwelt sind noch längst nicht vollständig erforscht.
Was wir heute jedoch viel besser verstehen, sind die Auswirkungen unseres eigenen Handelns. Deshalb lohnt es sich mehr, sich auf die richtigen Entscheidungen im Training, in der Ernährung und in der Erholung zu konzentrieren – anstatt in einen teuren Gentest zu investieren, der am Ende nur das Offensichtliche bestätigt.
Titelfoto von Sangharsh Lohakare auf Unsplash
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