Unser erstaunliches Gehirn wurde in Bewegung geschmiedet. Ein Gehirn, das komplexe Entscheidungen treffen kann, ist nur dann nützlich, wenn es diese auch ausführen kann.
In der Wildnis gibt es kaum eine Trennung zwischen dem kognitiven und dem physischen Bereich. Beide Prozesse beeinflussen und unterstützen einander. Jede Bewegung liefert dem Gehirn neue Informationen, mit denen es seine nächste Entscheidung verfeinern kann.
Unser Gehirn widmet also einen großen Teil seiner Struktur der Kontrolle der Bewegung unseres Körpers, und wie wir sehen werden, beeinträchtigt jede Einschränkung unserer Bewegung seine Funktion.
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Bewegung, Gehirnplastizität und kognitive Funktion
Die ersten Beweise für die Fähigkeit des Gehirns, neue Nervenzellen zu bilden, stammen aus Studien mit Tieren, bei denen die Forscher den erstaunlichen Effekt allein durch Bewegung erzielten (Studie).
Durch das Laufen wurde ein Anstieg von BDNF (= brain-derived neurotrophic factor; ein starker neuronaler Wachstumsfaktor) beobachtet, und mit der Zeit nahm die Größe des Hippocampus zu (Studie I, Studie II, Studie III). Auch die Qualität der neuronalen Mitochondrien, die für die Energieproduktion verantwortlich sind, verbesserte sich.
Und die Veränderungen waren nicht nur strukturell, sondern auch funktionell. Die Tiere verbesserten ihre Leistung in verschiedenen Gedächtnis- und Intelligenztests durch das Laufen (Studie I, Studie II, Studie III).
Umgekehrt verschlechtert eine Bewegungseinschränkung den Energiestoffwechsel im Gehirn und vermindert die Neurogenese (Studie).

Auch beim Menschen zeigten erste Beobachtungsstudien einen deutlichen Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und kognitiven Fähigkeiten. (Review, Studie I, Studie II).
Aktive Menschen sind Bewegungsmuffeln in fast allen Bereichen überlegen: Gedächtnis, logisches Denken, Aufmerksamkeit und Problemlösefähigkeit (Metaanalyse, Studie I, Studie II, Studie III). Sie haben auch ein geringeres Risiko, im Laufe der Zeit neurodegenerative Erkrankungen zu entwickeln (Studie I, Studie II).
Untersucht man die konkreten Auswirkungen auf das Gehirn, zeigen sich bereits in jungen Jahren deutliche Unterschiede zwischen aktiven und inaktiven Menschen.
Eine Studie mit Neun- und Zehnjährigen ergab, dass der Hippocampus der körperlich fitteren Kinder um zehn Prozent größer war und sie auch bei Tests des deklarativen Gedächtnisses (Teil des Langzeitgedächtnisses und verantwortlich für die Speicherung von Wissen, das in Worte gefasst werden kann) besser abschnitten. (Studie).
In einer anderen Studie mit mehr als 2.000 Probanden wurden Beschleunigungssensoren verwendet, um die tägliche körperliche Aktivität der Teilnehmer genauer abzuschätzen, und dann wurden ihre Gehirne mit funktioneller Kernspintomographie analysiert. Das Ergebnis? Diejenigen, die mehr zu Fuß unterwegs waren, hatten größere Gehirne, und jede zusätzliche Stunde körperlicher Aktivität pro Tag war mit einem Jahr weniger Gehirnalterung verbunden.
Selbst ein bisschen Bewegung ist viel besser als gar keine. Studien mit älteren Erwachsenen haben gezeigt, dass bereits eine insgesamte Spaziergangzeit von zwei bis vier Stunden pro Woche mit mehr grauer Substanz und einem geringeren Risiko für die Entwicklung von Alzheimer verbunden ist als bei Menschen, die sich nur normal im Alltag bewegen (Studie I, Studie II).
Korrelation oder Kausalität?
Bisher haben wir uns vor allem Beobachtungsstudien angeschaut, sodass wir die übliche Frage stellen könnten:
Verbessert Bewegung die Gehirnfunktion tatsächlich oder neigen Menschen mit leistungsfähigeren Gehirnen eher dazu, Sport zu treiben?
Obwohl beides gleichzeitig der Fall sein kann, zeigen neuere Studien, dass körperliche Aktivität definitiv die kognitiven Funktionen verbessert (Metaanalyse I, Metaanalyse II, Metaanalyse III, Studie I, Studie II).
In einer Interventionsstudie wurden beispielsweise 120 ältere Erwachsene in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe absolvierte drei altersgerechte aerobe Trainingseinheiten: dreimal pro Woche 40 Minuten (pulstreibende) Bewegung. Die andere Gruppe führte (nur) einfache Dehnübungen durch. Ein Jahr später zeigte sich, dass die Gruppe mit der intensiveren Bewegung ihren Hippocampus um zwei Prozent vergrößert und sich auch in einer Reihe von kognitiven Tests verbessert hatte.
Was ist mit den Mitgliedern der Gruppe mit den Stretchingeinheiten? Ihre Hippocampi schrumpften weiter, während sie alterten. Dies bestätigt, dass körperliche Aktivität die Alterung des Gehirns nicht nur verlangsamen, sondern teilweise umkehren kann. Es wurde auch festgestellt, dass Teilnehmer mit einem höheren Anstieg von BDNF ein stärkeres Wachstum des Hippocampus und eine bessere Gedächtnisleistung aufwiesen. Das Training zeigt auch signifikante Verbesserungen im präfrontalen Kortex, der mit unserer Fähigkeit zu planen, Entscheidungen zu treffen und anderen Funktionen verbunden ist, die mit dem Alter degenerieren.
Eine andere Studie führte Autopsien an 450 Gehirnen durch und kam zu dem Schluss, dass bei gleichem Gewebeschwund diejenigen, die ein höheres Maß an körperlicher Aktivität aufrechterhalten hatten, weniger äußere Symptome (wie Gedächtnisverlust) aufwiesen.
Dies ist das Konzept der kognitiven Reserve, und körperliche Aktivität ist eine der Strategien, um sie zu erhöhen. Mehrere Studien zeigen, dass das Risiko, an Demenz oder Alzheimer zu erkranken, bei den aktivsten Menschen um 30 bis 50 % sinkt. (mehr Details).
Kurz gesagt: Bewegung kann die Entwicklung des Gehirns in der Jugend beschleunigen und den Abbau im Alter verhindern.
Körperliche Aktivität und Depression
Depression hasst Bewegung. Große Beobachtungsstudien bestätigen, dass körperlich aktive Menschen weniger psychische Probleme haben als Bewegungsmuffel (Metaanalyse I, Metaanalyse II), darunter auch Depressionen (Metaanalyse I, Metaanalyse II).
Eine Studie mit über einer Million Personen kam zum Schluss, dass drei- bis fünfmal pro Woche 45 Minuten körperliche Aktivität mit einem um 20 Prozent niedrigeren Risiko verbunden ist. Selbst leichte Aktivitäten wie lange Spaziergänge oder Treppensteigen senken das Risiko deutlich.

Man könnte meinen, dass Menschen mit Depressionen einfach weniger Lust haben, sich zu bewegen, und das würde den Zusammenhang erklären. Das ist teilweise richtig, aber es gibt eine Vielzahl von klinischen Studien, die die Wirksamkeit von körperlicher Aktivität nicht nur als Prävention, sondern auch als Behandlung von Depressionen bestätigen. (Metaanalyse I, Metaanalyse II, Metaanalyse III, Metaanalyse IV, Metaanalyse V, Studie I, Studie II, Studie III).
In vielen Fällen ist die Wirkung sogar größer und länger anhaltend als diejenige von Antidepressiva (Studie) oder anderen Maßnahmen (Studie). Und konventionelle Depressionsbehandlungen wirken am besten, wenn sie durch körperliche Aktivität ergänzt werden (Metaanalyse).
Und auch hier gibt es mehrere Vorteile.
- Erstens ist Bewegung ein starker Aktivator von BDNF. Sich in komplexen Umgebungen zu bewegen, erfordert ein aktives und wachsames Gehirn, und BDNF ist wahrscheinlich die Art und Weise, wie unser Körper diesen Effekt erzeugt. Unsere Muskeln kommunizieren mit unserem Gehirn (mehr Details I, mehr Details II).
- Körperliche Aktivität erhöht auch die Zufuhr von Tryptophan ins Gehirn und seine anschließende Umwandlung in Serotonin (Studie), einen Neurotransmitter, der eine wichtige Wirkung auf die Stimmung hat. Bestimmte Antidepressiva (sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) wirken, indem sie die Neuronen daran hindern, freigesetztes Serotonin wieder aufzunehmen.
- Schließlich stimuliert körperliche Aktivität die Produktion von körpereigenen Opioiden wie Endorphinen (Studie, mehr Details). Mit diesen lustbetonten Verbindungen belohnte unser Gehirn unsere Vorfahren für die körperliche Anstrengung beim Jagen und Sammeln (mehr Details). Heute nennen wir diesen Effekt Runner’s High und er scheint gegen Depressionen wirksam zu sein (Studie). Das Gehirn ist unsere innere Apotheke, und Bewegung ist der beste Weg, es dazu zu bringen, die Chemikalien zu produzieren, die es braucht.

Wenn zusätzliche körperliche Aktivität bei einer inaktiven Person Depressionen reduziert, kann man dann bei einer sportlichen Person Depressionen auslösen, indem man ihre körperliche Aktivität einschränkt?
Es scheint so.
In einer Studie mit jungen Menschen, die ein aktives Leben führen, wurden diese gebeten, ihre körperliche Aktivität zu reduzieren, mit dem Training aufzuhören und nicht mehr als 5.000 Schritte pro Tag zu gehen. Bereits nach einer Woche traten bei vielen Teilnehmern Angstsymptome auf.
Die psychologischen Effekte von Bewegung
Depression ist eine multifaktorielle Erkrankung, die von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren beeinflusst wird. Wir haben gesehen, wie Bewegung Depressionen reduziert, indem sie unsere Biologie moduliert, aber wir müssen auch ihre Auswirkungen auf unsere Psyche berücksichtigen.
Körperliches Training verbessert zum Beispiel das sogenannte Selbstkonzept, also das Bild, das wir von uns selbst haben. (Studie).
Sportliches Training bietet ein konkretes Ziel und die Möglichkeit, sich kontinuierlich zu verbessern. Das Gefühl, Fortschritte zu machen, steigert das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit, definiert als das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Ziele zu erreichen (Studie I, Studie II).

Was für uns vor ein paar Wochen noch anstrengend war, ist jetzt kaum noch eine Herausforderung. Jeden Tag laufen wir mehr und heben mehr Gewichte. Stagnation und mangelnde Kontrolle verstärken Depressionen, und Bewegung ist ein gutes Gegenmittel für beides, zumindest in einem Bereich unseres Lebens.
Gruppenaktivitäten fördern auch die Interaktion mit anderen, und ein Mangel an sozialen Kontakten ist ein weiterer Faktor, der zu Depressionen beiträgt. (Studie, mehr Details). Probleme sehen anders aus, wenn man mit seinen Freunden schwitzt :-).
Und schließlich macht uns die Stärkung im Umgang mit Stress durch Sport widerstandsfähiger gegen die emotionalen Stressoren, die wir häufig erleben. In einer Studie wurden Teilnehmer verschiedenen Arten von psychosozialem Stress ausgesetzt und ihre Reaktion anhand von Variablen wie Cortisolspiegel, Herzfrequenz und Stimmung bewertet. Die Forscher fanden heraus, dass diejenigen, die häufig Sport trieben, eine moderatere Stressreaktion zeigten. Kurz gesagt, Bewegung schützt unseren Geist vor Stress.
Zusammenfassung
Unsere hochentwickelten kognitiven Fähigkeiten haben sich in Verbindung mit einem hohen Maß an körperlicher Aktivität entwickelt. Anstatt zu denken, dass körperliche Aktivität für unsere geistige Gesundheit gut ist, könnte man sagen, dass das Gehirn ohne körperliche Aktivität nicht normal funktioniert.
Viele Studien der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass körperliche Aktivität die beste Anti-Aging-Therapie für unseren Körper ist. Jetzt wissen wir, dass die Vorteile auch für das Gehirn gelten.
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